18/04/2024
KOMMT, WIR BAUEN DAS NEUE EUROPA?!
Zu den aktuellen Beschlüssen deutsch-europäischer Asylpolitik. Gedanken von Aram Ali
Kann sich jemand noch an die Demonstrationen Anfang des Jahres gegen die Remigrationspläne der AfD erinnern? Es hat sich nun herausgestellt, dass für diese Remigrationspläne die AfD nicht an die Macht kommen muss. Das können die bürgerlichen Parteien auch selbst umsetzen.
Diese Woche wurde im europäischen Parlament, das individuelle Asylrecht - eine Konsequenz aus den Erfahrungen des zweiten Weltkrieges - abgeschafft.
Für jemanden, der geflüchtet ist und dessen Familie in den letzten Jahren auch zum großen Teil fliehen musste, ist dieses Thema persönlich.
Was wurde beschlossen?
Zukünftig sollen alle an den EU-Außengrenzen ankommenden Menschen in Lager gesperrt werden, um sie zu registrieren. Das soll fünf bis zehn Tage dauern. Während dieser Zeit gelten sie als nicht in die EU eingereist. Es wird gleichzeitig geprüft, ob sie ein Grenzverfahren durchlaufen. Kommen sie aus einem Land, bei dem die Anerkennungsquote im EU-Durchschnitt unter 20 % liegt, kommen sie ins Grenzverfahren. Wird ihnen vorgeworfen, sie würden die Behörden täuschen oder Dokumente nicht aushändigen, kommen sie ins Grenzverfahren. Hält man sie für Gefährder:innen, kommen sie ebenfalls ins Grenzverfahren. Und die EU-Mitgliedsstaaten dürfen Schutz suchende auch ins Grenzverfahren stecken, wenn sie davon ausgehen, dass sie über einen sog. "sicheren Drittstaat" gekommen sind. Das würde dann auch Geflüchtete betreffen, die aus einem Land mit hoher Anerkennungsquote wie z.B. Syrien, Iran, Somalia oder Afghanistan kommen.
Grenzverfahren bedeutet eine Internierung bis zu 12 Wochen in den geplanten Grenzlagern. Das gilt auch für Familien und Kinder! In der Zeit wird geprüft, ob ein Asylverfahren überhaupt durchgeführt wird. Wird festgestellt, dass jemand Bezug zu einem sog. "sicheren Drittstaat" hatte, wird der Antrag als nicht zulässig abgelehnt und kein Asylverfahren durchgeführt. Dazu muss man wissen, dass die EU einen Staat als sicher eingestufen kann, der nicht einmal die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet hat. Selbst Teilgebiete eines Landes, in dem es ansonsten keine Sicherheit gibt, können als sicher erklärt werden.
Kommen die Behörden zu der Ansicht, dass ein Asylantrag keine Chance hat, soll er im Schnellverfahren abgelehnt werden. Wer Rechtsmittel gegen die Ablehnung des Asylantrages einlegt, kann vier weitere Wochen interniert bleiben. Es schließt sich dann das Abschiebungsgrenzverfahren an, das bis zu 12 Wochen dauern darf. In der Zeit soll die Abschiebung in das Herkunftsland oder einem als sicher erklärten Drittstaat, zu dem die Schutz suchende Person Bezug hatte, stattfinden.
Während dieses ganzen Grenzverfahrens, dass also im Normalfall bis zu 28 Wochen dauern kann, bleiben die Menschen in den gefängnisartigen Lagern eingesperrt und gelten als nicht in die EU eingereist.
Wie solche Lager aussehen, können wir uns z.B. in Le**os ansehen, wo die Menschen in erbärmlichen Zuständen leben und Kinder von Ratten angefressen werden.
Die Menschen in den Lagern haben kaum Zugang zu Rechtsberatung oder Rechtsbeistand. Es gibt nahezu keine unabhängige Kontrolle über die Lager.
Wäre ein Teil meiner Familie und einiger meiner Freunde nach diesen Beschlüssen geflüchtet, wären sie auch in diesen Lagern inhaftiert worden.
SPD, Grüne und FDP haben in ihrem Koalitionsvertrag versprochen, das Leid an den Außengrenzen Europas zu beenden. Gekommen ist das Gegenteil.
Wer Menschen, die nichts verbrochen haben, außer vor Krieg, Hunger und Verfolgung zu fliehen, ja sogar Kindern und Familien in Lagern einsperren will, kann sich das Gequatsche über die Lehren aus dem Faschismus, den rassistischen Anschlägen in Rostock, Hoyerswerda, Solingen, Halle und den Morden des NSU sparen. Wer alle diese unmenschenlichen Vorschläge umsetzt, sollte sich das Gerede von Vielfalt und Gleichheit der Menschen in Europa sein lassen.
Solange Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Passes in unmenschlichen Lagern gesteckt werden, ist die Gleichheit zwischen Einheimischen und Zugezogenen in Europa nur noch eine Formalität. Diese Vorhaben zeigen, dass Parteien von FDP bis hin zu den Grünen für Wahlerfolge bereit sind, die Rechte von Geflüchteten und MigrantInnen abzuschaffen, weil sie glauben, damit die Faschisten zu schwächen. Wer aber Politik der Faschisten umsetzt, schwächt sie nicht, sondern ebnet ihnen nur den Weg zur Macht.
Die kommenden Jahre werden düster. Was wir aktuell erleben, ist eine Erosion der Menschenrechte. Wer bereit ist, ein zentrales Menschenrecht wie das Asylrecht zu opfern, wird auch bereit sein, soziale Rechte wie z.B. das Recht auf ein Existenzminimum infrage stellen. Nicht umsonst werden aktuell zu den Asylrechtsverschärfungen Debatten um massive Kürzungen des Bürgergeldes oder Einführung der Bezahlkarte für BürgergeldempfängerInnen geführt.
Unsere Aufgaben als Linke sind riesig, weil wir sowohl gegen den Rechtsruck in der Gesellschaft als auch gegen eine soziale Krise kämpfen müssen. Hätte ich keine Hoffnung, dass eine Gesellschaft ohne Rassismus und Diskriminierung möglich ist, wäre ich nicht politisch aktiv. Es liegt an uns denen, die durch Inflation und Preiserhöhungen, in ihrer Existenz bedroht sind, eine Stimme zu geben, um den Faschisten den Boden zu entziehen.